Schonende Operationsmethoden beim Vulvakarzinom und seinen Vorstufen

Das Vulvakarzinom zählt mit ca. 5.000 Neuerkrankungen pro Jahr zu den eher seltenen gynäkologischen Krebserkrankungen. Diese Zahl steigt seit Jahren nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit an. In der Größenordnung liegt es mittlerweile in der Nähe der Neuerkrankungen am Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom). Lange Zeit galt das Vulvakarzinom als typisches Karzinom der älteren Frauen ab dem 65. Lebensjahr. In den letzten 20 Jahren stieg jedoch der Anteil von Frauen unter 50 Jahren von 2 auf 21%. Ca. 15% aller Patientinnen sind sogar jünger als 40 Jahre. Auch bei den Vorstufen lässt sich ein deutlicher Anstieg sowohl hinsichtlich der Neuerkrankungen als auch der Betroffenheit von jüngeren Patientinnen verzeichnen.

Leider ist die medizinische Versorgungslage bei dieser Erkrankung dringend verbesserungsbedürftig. Für eine Patientin bedeutet das, dass sie nach Erhalt der Diagnose auf Informationen angewiesen ist, wie sie in den Genuss einer Therapie auf der Basis aktueller Erkenntnisse kommen kann. Andernfalls läuft sie Gefahr, dass ihr Genitale verstümmelt wird oder es sogar zu einem Genitalverlust (radikale Vulvektomie) kommen kann, was ihr häufig, wenn nicht sogar in den allermeisten Fällen, bei einem Spezialisten für diese Erkrankung erspart bleibt. Diese Gefahr droht ihr sogar bei einer Vorstufe. Anders als bei Brust- oder Gebärmutterhalskrebs existieren für das Vulvakarzinom und seine Vorstufen (VIN, CIS) keine Maßnahmen zur Qualitätssicherung wie eine Zertifizierung speziell mit dem Fokus auf unserer Erkrankung. Vor diesem Hintergrund bleibt uns Patientinnen nur, uns gut zu informieren und im Arzt-Patientinnengespräch Fragen zu stellen, u.a. nach seinen Erfahrungen mit unserer Erkrankung. Es hat sich dabei als zweckmäßig erwiesen, vor dem Gespräch eine Checkliste zu erstellen, damit Fragen, die uns auf der Seele liegen, nicht in der Aufregung vergessen werden.

Was bedeuten nun schonende Operationsmethoden?

Vorstufen können im Regelfall mittels eines CO2-Lasers behandelt werden. Dauerhafte beeinträchtigende Folgen sind üblicherweise bei der Laservaporisation (Gewebeverdampfung durch einen Laser) nach dem Abheilen nicht festzustellen, im Gegensatz zu der Therapie mittels Skalpell. Insbesondere die Behandlung großflächiger Zellveränderungen (Dysplasien) ist hier mit ausgedehnten Verstümmelungen verbunden, die bei einem Einsatz des CO2-Lasers zu vermeiden gewesen wären.

Die Standardtherapie des Vulvakarzinoms ist in erster Linie die operative Therapie. Diese besteht zum einen aus der Tumorentfernung im Bereich der Vulva und zum anderen aus der Entfernung der Leistenlymphknoten (Lymphonodektomie) ab dem Tumorstadium 1b, d.h. der Tumor hat eine Eindringungstiefe von über 1 mm. Bei Befall von Lymphknoten im Bereich der Leiste oder auch einer ausgedehnten Tumorerkrankung im Bereich der Vulva folgt nach einer Operation die unterstützende Bestrahlung von Vulva, Leisten und kleinem Becken. In seltenen Fällen wird vorab eine Radiochemotherapie durchgeführt um beispielsweise einen sehr großen Tumor, der nicht durch eine Operation zu entfernen wäre, zu verkleinern. Die meisten Patientinnen können jedoch allein durch die Operation geheilt werden.

Wie wichtig ist der „Sicherheitsabstand“?

Standard bei der operativen Therapie ist die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes vom gesunden Gewebe zum erkrankten Gewebe von mindestens 0,8 cm. Die Leitlinie von 2016 legt einen schmaleren Resektionsrand (3 mm statt 10 mm) fest. Dazu hat wohl auch eine neuere Untersuchung zum Sicherheitsabstand beigetragen. Sie gibt Hinweise darauf, dass nicht das Einhalten eines bestimmten Abstandes für das Auftreten von Rezidiven maßgeblich ist, sondern die Entfernung im Gesunden.

(s. Woelber L, Choschzick M, Eulenburg C, Hager M, Jaenicke F, Gieseking F, Kock L, Ihnen M, Petersen C, Schwarz J, Mahner S, Prognostic value of pathological resection margin distance in squamous cell cancer of the vulva, Ann Surg Oncol. 2011 Dec;18(13):3811-8. Epub 2011 May 19).

Insbesondere wenn zur bloßen Einhaltung des Sicherheitsabstandes die Klitoris entfernt werden soll oder eine Verkürzung oder die Entfernung der Harnröhre geplant ist, der Tumor aber als solcher im Gesunden entfernt werden kann, ist eine Patientin gut beraten, sich eine qualifizierte Zweitmeinung einzuholen. Ein Recht, das jeder Patientin zusteht und für dessen Wahrnehmung sie sich nicht zu rechtfertigen braucht. Es ist zwar zutreffend, dass Sexualität auch ohne Klitoris erlebt werden kann, dieses ist aber ein dermaßen drastischer Einschnitt, dass er bei Frauen in jedem Alter einer besonderen Rechtfertigung bedarf.

Aus unserem Erfahrungsaustausch mit Spezialisten für unsere Erkrankung wissen wir, dass eine genaue voroperative Diagnostik mittels Kolposkop (einem Vergrößerungsinstrument) in vielen Fällen hilft, radikale Operationen zu vermeiden. Auf diesem Wege kann die genaue Tumorlage bestimmt und von Krebsvorstufen abgegrenzt werden. Kolposkopisch gesteuerte Operationen sind eine Voraussetzung dafür, dass Tumore mit einem Sicherheitsabstand von wenigen Millimetern entfernt und bei der Kombination von Tumor und Vorstufen letztgenannte durch den Laser verdampft (vaporisiert) werden können. Außerdem kann durch den Einsatz des Kolposkopes vermieden werden, dass zu entfernendes Gewebe übersehen wird und aus diesem Grund eine weitere (vermeidbare) Operation notwendig wird. Im Ergebnis können bei schonenden Therapieverfahren in 80 % der Fälle die Klitoris bei den Tumorstadien T1a und T1b und 80 % der Fälle die großen Schamlippen bei T2 erhalten werden. Beides ist nicht unwichtig für die Lebensqualität der Patientinnen.

Jede Patientin ist außerdem gut beraten, ihr Augenmerk darauf zu richten, dass ihre Vulva, sollte es erforderlich sein, im Anschluss an die Tumorentfernung rekonstruiert wird, also in nur einer OP. Das bedeutet für sie, dass ihr dadurch der traumatisierende Verlust des weiblichen Erscheinungsbildes erspart bleibt und das allgemeine Operationsrisiko sowie das Risiko von Wundheilungsstörungen auf eine OP reduziert werden.

Ein weiteres wichtiges Merkmal schonender Operationsmethoden ist die Anwendung der Sentinellymphonodektomie (Entfernung der/des Wächterlymphknoten/s) anstelle der radikalen Lymphonodektomie bei Vulvakarzinomen der Stadien T1 und T2 mit klinisch und im Ultraschall nicht auffälligen Lymphknoten. Die radikale Entfernung der Lymphknoten geht häufig mit einer lang andauernden Flüssigkeitsansammlung (Serombildung) im Bereich der Leisten und langfristig wiederkehrenden Entzündungen und auch Schwellungen durch gestaute Lymphflüssigkeit (Lymphödemen) der Beine einher. Linderung verschaffen Lymphdrainagen, die jahrelang bis lebenslänglich erforderlich sein können. Die darüber hinaus zu tragenden Kompressionsmaterialien werden als Behinderung körperlicher Aktivität und Attraktivität bewertet. Eine radikale Lymphonodektomie lässt sich nicht immer vermeiden, aber sie sollte sich auf die Fälle beschränken, in denen sie zwingend erforderlich ist. In über 80 % der Fälle bei Vulvakarzinomen in einem frühen Tumorstadium sind die entfernten Lymphknoten tumorfrei und es handelt sich um eine rein diagnostische Maßnahme. Warum sollte Patientinnen mit einer seltenen Erkrankung ein schonendes (und beim Spezialisten sicheres) Verfahren vorenthalten werden, das z.B. beim Brustkrebs (Mammakarzinom) oder Hautkrebs (Melanom) bereits seit etlichen Jahren etabliert ist?

Bei einer seltenen Erkrankung wird von Patientinnen viel Eigeninitiative verlangt, um einen Spezialisten für ihre Erkrankung zu finden. Wir sollten uns aber immer fragen, wenn wir uns an möglicherweise weiteren Wegen stören, ob wir bereit sind, Nachteile mit großen Einbußen in der Lebensqualität zu ertragen, die auf die fehlenden Erfahrungen des Operateurs und seines Teams zurückzuführen sind. Und wir sollten die Nachteile kennen, denn häufig werden diese Folgen unterschätzt. Dem Diagnoseschock sollte nicht der Schock einer schlechten Therapie folgen. Ziel sollte sein, jede Frau individuell zu operieren, um eine unnötige Genitalverstümmelung zu vermeiden.